Kurz vor der Bundestagswahl ging es nochmal zur Sache: Wie so oft wurden am Ende der Legislaturperiode noch eine Reihe von Neuerungen und Änderungen von Gesetzen auf den Weg gebracht. Auch das Strafverfahren blieb davon nicht verschont. Das sogenannte "Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017", in Kraft getreten am 24.08.2017, bringt eine ganze Reihe von Änderungen der Strafprozessordnung (StPO) mit sich. Zudem trat am 06.09.2017 das „Zweite Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten im Strafverfahren und zur Änderung des Schöffenrechts vom 27.08.2017“ in Kraft, welches jedoch deutlich weniger mediale Beachtung erhielt. Doch was steckt nun eigentlich genau hinter den Gesetzesänderungen? Die wichtigsten Neuerungen werde ich in meinem zweiteiligen Beitrag "Wichtige Neuerungen im Strafverfahren" beleuchten. Teil 1 behandelt das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017:
Bereits der Wortlaut lässt Bedenken aufkommen: Effektivität und Praxistauglichkeit mögen grundsätzlich positiv besetzte Begriffe sein - auch und gerade im Strafprozess. Doch gleichzeitig läuft dem wachsamen Verteidiger dabei sogleich ein Schauer über den Rücken, denn oftmals geht damit auch die Aushöhlung der Beschuldigtenrechte und damit auch des Rechtsstaats an sich einher. Denn wie gut ein Rechtsstaat wirklich funktioniert, zeigt sich erst im Umgang mit den zahlreichen Beschuldigten, die sich der staatlichen Übermacht in Form eines Strafverfahren ausgesetzt sehen.
Die wichtigsten Änderungen des Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017 gibt es hier im Kurzüberblick:
1. Fahrverbot als Nebenstrafe auch bei Nicht-Verkehrsdelikten
Eine tiefgreifende Neuerung ist die Änderung des § 44 StGB, durch welche ein Fahrverbot als Nebenstrafe auch verhängt werden kann, wenn Straftaten überhaupt nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr begangen wurden. Im § 44 StGB wird jetzt geregelt, dass bei Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder Geldstrafe das Gericht für die Dauer von einem Monat bis zu sechs Monaten verbieten kann, im Straßenverkehr Kraftfahrzeuge jeder oder einer bestimmten Art zu führen. Dies gilt nun auch, wenn die Straftat nicht bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen wurde, sofern sie zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung erforderlich erscheint oder hierdurch die Verhängung einer Freiheitsstrafe oder deren Vollstreckung vermieden werden kann.
2. Keine richterliche Anordnung mehr notwendig bei Blutentnahme
Neu eingefügt wurde § 81a Abs. 2 S. 2 StPO. Diese Regelung hat zur Folge, dass die bislang notwendige Pflicht zur Einholung einer richterlichen Anordnung zur Blutentnahme bei Straßenverkehrsdelikten in Zukunft von den Ermittlern nicht mehr beachtet werden muss. Bislang konnte lediglich bei Gefahr in Verzug die richterliche Anordnungskompetenz umgangen werden. Hierzu ist allerdings anzumerken, dass die Gerichte schon seit jeher sehr großzügig mit dem Begriff "Gefahr in Verzug" umgegangen sind. Böse Zungen könnten daher behaupten, dass sich durch die Änderung des § 81a StPO gar keine signifikanten Änderungen der strafrechtlichen Praxis ergeben.
3. Videoaufzeichnung der Beschuldigtenvernehmung
Ebenfalls brandneu ist § 136 Abs. 4 StPO. In diesem Absatz wird die Aufzeichnung der Vernehmung des Beschuldigten in Ton und Bild geregelt. In bestimmten Fällen sieht der Gesetzgeber sogar eine Pflicht zur Videoaufzeichnung vor - zum einen bei vorsätzlich begangenen Tötungsdelikten, zum anderen zur besseren Wahrung von schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die minderjährig sind oder erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden.
4. Pflicht zum Erscheinen für Zeugen bei polizeilichen Vorladungen
Eine weitere äußerst relevante Änderung ist die des § 163 Abs. 3 StPO. Bislang waren Zeugen bislang nur verpflichtet, richterlichen und staatsanwaltschaftlichen Vorladungen Folge zu leisten. Nun gilt dies auch für die Vorladungen der Polizei, sofern diese von der Staatsanwaltschaft angeordnet wurden. Die Staatsanwaltschaft hat außerdem jetzt die Entscheidungsbefugnis über die Beiordnung eines Zeugenbeistands, Zeugnisverweigerungsrechte und etwaige Geheimhaltung der Identität von Zeugen.
5. Erweiterungen der Befugnisse bei Online-Durchsuchung und Online-Telekommunikationsüberwachung
Die §§ 100a, 100b StPO wurden geändert und um weitere Befugnisse der Ermittlungsbehörden erweitert. Nunmehr ist auch die sogenannte Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) gesetzlich verankert. Der Gesetzgeber erlaubt den Ermittlern in Zukunft, sich mittels einer Software (landläufig als Bundestrojaner oder Staatstrojaner bezeichnet) in technische Geräte wie Computer oder Smartphone einzuwählen, um die Daten eines Verdächtigen einzusehen. Mit der Quellen-TKÜ wird überdies bezweckt, dass die Ermittlungsbehörden Zugriff auf verschlüsselte Nachrichten, z.B. bei Messenger-Diensten, erhalten können.
6. Änderungen für den Verlauf der Hauptverhandlung
Schließlich bringt die Gesetzesänderung auch einige Modifizierungen zum Gang der Hauptverhandlung mit sich. So ist in § 243 Abs. 3 S. 3 StPO die Möglichkeit des "Opening-Statements" der Verteidigung gesetzlich normiert worden. Zudem soll künftig auch in der Revisionsinstanz eine Einstellung des Strafverfahrens nach § 153a StPO möglich sein. In größeren Verfahren kann nach zudem nun nach § 213 Abs. 2 StPO der äußere Verlauf der Hauptverhandlung im Vorfeld abgestimmt werden.
7. Fazit
Nicht alles, was das Gesetz zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17.08.2017 mit sich bringt, ist schlecht. Sicherlich sind auch sinnvolle Neuerungen und Änderungen dabei. Doch gerade die Änderungen in den Kernbereichen der Strafprozessordnung sind unter rechtsstaatlichen Aspekten kritisch zu sehen. Gleiches gilt für die nunmehr vorhandene Möglichkeit, bei einer Vielzahl von straßenverkehrsfremden Delikten ein Fahrverbot zu verhängen. Ob die genannten Änderungen Bestand haben werden, wird sich zeigen. Sicherlich wird sich bald das Bundesverfassungsgericht mit der ein oder anderen Gesetzesänderung befassen dürfen. Immerhin darf gibt es auch einen Lichtblick, den ich bereits vorwegnehmen darf: Teil 2 meines Beitrags dürfte positiver ausfallen.