Mord im Straßenverkehr?

Am gestrigen Montag, den 27.02.2017 wurde ein aufsehenerregendes Urteil des Landgerichts Berlin verkündet: Die sogenannten "Kudamm-Raser" wurden zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Mordes verurteilt! Die Schwurgerichtskammer folgte damit den Anträgen der Staatsanwaltschaft. Das mediale Echo war und ist enorm. Der weit überwiegende Teil der Bevölkerung begrüßt die Entscheidung, wie aus diversen Umfragen hervorgeht.

 

Selbstverständlich verbietet es sich, ohne Aktenkenntnis eine juristische Bewertung dieser Entscheidung abzugeben. Man darf gespannt sein, wie das Landgericht Berlin das Urteil begründen wird. Aus den Medienberichten kann man folgern, dass (angeblich) generalpräventive Erwägungen entscheidend gewesen seien. Dies darf bezweifelt werden; zumindest, ist nicht davon auszugehen, dass sich die schriftliche Urteilsbegründung darauf stützen wird.

 

Gleichwohl nehme ich dieses Urteil zum Anlass, mir Gedanken über diese interessante Rechtsfrage zu machen: Kann ein illegales Autorennen, bei welchem zwei Personen mit bis zu 170 km/h durch die Innenstadt rasen und mehrere rote Ampeln überfahren, den Tatbestand des § 211 StGB erfüllen? Und vor allem: Welche Konsequenzen hätte dies für andere Unfälle im Straßenverkehr mit Todesfolge?

 

Sofern eine Person im Straßenverkehr durch die Unachtsamkeit eines Autofahrers zu Tode kommt, war bislang immer der Straftatbestand der Fahrlässigen Tötung gemäß § 222 StGB von den Gerichten herangezogen worden. Insofern rief bereits die Anklageschrift der Berliner Staatsanwaltschaft, in welcher die Angeklagten wegen Mordes gemäß § 211 StGB angeklagt worden waren, mediale Beachtung hervor. Entscheidend für die Bewertung als Mord ist die Frage, ob die Angeklagten im vorliegenden Fall fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt haben. Die Abgrenzung zwischen bewusster Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz (dolus eventualis) bemisst sich nach der sogenannten "Frank`schen Formel": Wenn der Täter sich sagt: "Es wird schon gut gehen!", liegt bewusste Fahrlässigkeit vor, wenn der Täter meint: "Na, wenn schon!", ist bedingter Vorsatz zu bejahen.

 

Nachdem Mord der einzige Straftatbestand ist, dessen Erfüllung eine lebenslänglichen Freiheitsstrafe nach sich zieht und der nicht der strafrechtlichen Verjährung unterliegt, hat der BGH die Hemmschwellentheorie entwickelt, nach welcher die innere Motivation des Täters, einen Menschen zu töten, besonders genau überprüft werden muss. Es sind also aufgrund der hohen Straferwartung besonders strenge Maßstäbe für die Tatgerichte aufgestellt worden. Das Landgericht Berlin ist offenbar zur Überzeugung gelangt, dass die beiden Raser aufgrund des Überfahrens mehrerer roter Ampeln mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit davon ausgehen mussten, dass ihnen irgendwann ein anderer Verkehrsteilnehmer in die Quere kommen würde ("Na, wenn schon!"). Gleichwohl kann man bei gleicher Ausgangslage (Überfahren mehrerer roter Ampeln mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit) auch zu folgendem Ergebnis kommen: Die beiden Raser erwarteten nicht, dass ein anderes Fahrzeug die Kreuzung überqueren werde. Sie befanden sich im Geschwindigkeitsrausch - gewissermaßen im "Flow" und rechneten in ihrer maßlosen Selbstüberschätzung gar nicht damit, dass wirklich ein Unfall passieren könne ("Es wird schon gut gehen!"). Erstere Annahme führt zur Verurteilung wegen Mordes und damit zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe, die zweite Annahme führt zu einer Verurteilung wegen Fahrlässiger Tötung, welche maximal eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren nach sich zieht. Die Bewertung als Mord fällt nach Bejahung des Vorsatzes nicht mehr schwer: Das Auto kann dann als gemeingefährliches Mittel im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB angesehen werden, so dass nicht nur der Tatbestand des Totschlags nach § 212 StGB, sondern der des Mordes nach § 211 StGB erfüllt wäre

 

Ich möchte vorliegend keine Bewertung des Urteils vornehmen. Ich kenne die Akten nicht und die schriftliche Urteilsbegründung liegt noch nicht vor. Jedoch macht es einen schon nachdenklich, wenn man die großen Unterschiede bei der Straferwartung betrachtet. Was die Motivation des Landgerichts Berlin war, die Tat als Mord zu verurteilen, bleibt bislang Spekulation: Sollte ein Zeichen gegen Raser gesetzt werden, hat gerade dieser Einzelfall eine solche Rechtsfolge gerechtfertigt (z.B. weil die Angeklagten sich entsprechend einließen bzw. verhielten) oder ist es gar eine "politische" Entscheidung"? Sollte der BGH das Urteil jedoch halten, ergeben sich aus meiner Sicht jedoch weitere strafrechtliche Probleme, auf welche im folgenden hingewiesen werden soll:

 

- Wo ist in Zukunft die Grenze zu ziehen zwischen fahrlässigem und vorsätzlichem Handeln im Straßenverkehr? Diese Frage würde dann z.B. bei Fahrten unter Alkohol- und Drogeneinfluss mit Todesfolge eine Rolle spielen, aber auch bei Verfolgungsjagden.

 

- Ist in Zukunft eine Teilnahme an einem illegalen Rennen oder einer Verfolgungsjagd als versuchter Mord zu werten? Das wäre meines Erachtens die logische Konsequenz, wenn der BGH das Urteil bestätigen sollte.

 

- Ist in Zukunft die Hemmschwellentheorie überhaupt noch anwendbar oder müsste der BGH sie nicht folgerichtig modifizieren bzw. abschaffen? Denn - vorbehaltlich einer Auseinandersetzung mit dieser Theorie in den Urteilsgründen - dürfte es nach den vorigen Ausführungen schwierig sein, eine Verurteilung wegen Mordes mit der Hemmschwellentheorie in Einklang zu bringen.

 

Rechtspolitisch könnte eine Antwort auf diese Fragen wiederum wie folgt aussehen:

 

- Reformierung des § 211 StGB. Diese könnte zum Beispiel darin bestehen, das Strafmaß des § 211 StGB flexibler zu gestalten, so dass die "lebenslange" Freiheitsstrafe nicht die einzige Möglichkeit wäre. Man könnte auch - dogmatisch zwar sicherlich "sportlich", aber nicht undenkbar - ähnlich dem § 213 StGB einen neuen § 211a StGB ("Minder schwerer Fall des Mordes") einführen, welcher trotz vorsätzlicher Verwirklichung der Mordmerkmale eine mildere Strafe nach sich zieht. Denkbar wäre auch eine komplette Abschaffung des § 211 StGB, da auch ohne Erfüllung von Mordmerkmalen eine lebenslange Freiheitsstrafe gemäß § 212 Abs. 2 StGB wegen Totschlags in einem besonders schweren Fall bereits jetzt möglich ist.

 

- Schaffung eines besonderen Straftatbestandes für den Straßenverkehr, welcher illegale Autorennen explizit unter Strafe stellt. Bei Unfällen mit Todesfolge könnte z.B. ein Qualifizierungstatbestand geschaffen werden, welcher die Strafbarkeitslücke zwischen Fahrlässiger Tötung und Mord füllt. Es ist aus meiner Sicht nicht unwahrscheinlich, dass sich die Politik dieser Problematik bald annimmt.

 

Aber wie man es auch dreht und wendet, letztendlich handelt es sich um Spekulationen, solange das Urteil des Landgerichts Berlin nicht rechtskräftig ist. Man darf daher gespannt sein, wie die Entscheidung des BGH diesbezüglich ausfallen wird.