Nemo tenetur, das unbekannte Wesen?

Im deutschen Strafrecht von überragender Wichtigkeit ist der lateinische Grundsatz "Nemo tenetur se ipsum accusare", zu deutsch: Niemand ist verpflichtet, sich selbst anzuklagen. Im Klartext bedeutet diese Maxime, dass sowohl jeder Beschuldigte, Angeschuldigte und Angeklagte als auch jeder Zeuge das Recht hat, zu gegen Ihn erhobenen Tatvorwürfen zu schweigen. Die Rechtsgrundlage hierfür findet sich für den Beschuldigten in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO und für den Zeugen in § 55 Abs. 1 StPO. Bei dem durch den Grundsatz "Nemo tenetur" statuierten Schweigerecht handelt es sich um eine der zentralen Errungenschaften unseres Rechtsstaats, welche eine Stärkung der Rechte des Beschuldigten gegenüber den oftmals als übermächtig wahrgenommenen staatlichen Ermittlungsbehörden bedeutet.

 

So weit, so gut. Ein Grundsatz von überragender Wichtigkeit also. Umso erstaunter lässt den kundigen Leser der Entwurf zur Änderung des Gesetzes zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme (vulgo: IT-Sicherheitsgesetz) zurück. Dieses Gesetz ist seit Juli 2015 gültig und soll nun überarbeitet werden. In dem Entwurf, der Anfang April 2019 veröffentlicht wurde, sollen Ermittler z.B. auch gegen den Willen eines Beschuldigten dessen Account ohne spezielle Rechtsgrundlage übernehmen und unter Vorspiegelung dessen Identität weiterbetreiben dürfen.

 

Vor allem aber soll nach dem geplanten § 163g StPO-E ein Beschuldigter verpflichtet werden, seine zur Nutzung der virtuellen Identität erforderlichen Zugangsdaten herauszugeben. Im Falle der Weigerung bestünde die Möglichkeit, Sanktionen mittels Ordnungsgeld oder Ordnungshaft festzusetzen, da § 163g StPO-E auf § 95 Abs. 2 StPO und dieser wiederum auf § 70 StPO verweist. Der interessierte Leser fragt sich sogleich, wie diese geplante Vorschrift nun mit dem Nemo-tenetur-Grundsatz vereinbar sein soll. Und in der Tat, faktisch wird das Schweigerecht hierdurch ausgehebelt. 

 

Zudem bietet der Gesetzesentwurf mit § 126a StGB-E eine neue Strafvorschrift, die das Zugänglichmachen von internetbasierten Leistungen zur Ermöglichung von Straftaten unter Strafe stellt. Damit soll vor allem auf Dienstleister, die über das Netzwerk Tor erreichbar sind, abgezielt werden, um kriminelle Handlungen im Darknet effektiver zu sanktionieren. Allerdings können aufgrund des weit gefassten Wortlauts z.B. auch Forenbetreiber unter diese Regelung fallen. 

 

Insgesamt begegnet der genannte Gesetzesentwurf daher gewichtigen verfassungsrechtlichen Bedenken. Es wird sich zeigen, inwieweit der Gesetzgeber diese auch ernst nehmen wird, da voraussichtlich im Juni die Befassung des Kabinetts mit dem Entwurf ansteht.